Die Wahlen zu universitären Gremien sprechen in aller Regel wenige
   Studenten an. Ein Fünftel oder weniger der Wähler kommen ihrem
   Recht nach. Die Friedrich-Schiller-Universität (FSU) in Jena glaubt nun,
   ein Gegenmittel gefunden zu haben: Online-Wahlen.
 
In der aktuellen Wahl sollte das System POLYAS der Firma Micromata
   zum Einsatz kommen. Über ein Formular meldet sich die Student unter
   Verwendung seines Geburtsdatums, seiner Matrikelnummer sowie einer
   festgelegten Passphrase an. Danach wird von der Software ein
   Wahlschein präsentiert. Studierende geben die Stimme ab und die
   Software zählt am Ende aus. Eigentlich klingt das alles ganz
   einfach. Wie jedoch schon der Start zeigte, gibt es eine Vielzahl
   von Problemen.
 
Christoph Pregla erzählt im Podcast, dass eine von drei Komponenten
   der Software zunächst nicht gestartet werden konnte. Es gab dann
   längere Telefonate zwischen Micromata und der FSU. Die beteiligten
   Personen verließen dann die Räumlichkeiten. Es ist unklar, was in
   dieser Zeit mit dem Rechner passierte. Ein Angreifer hätte
   eventuell leichtes Spiel. Die Software konnte letztlich gestartet
   werden. Jedoch fiel irgendwann auf, dass die Online-Version des
   Wahlzettels von der Druckversion abwich. Während auf dem gedruckten
   Wahlzettel korrekt die Abgabe von drei Stimmen möglich war, konnten
   online nur zwei Stimmen abgegeben werden. Dieser Fehler führte dann
   zum Abbruch der Online-Wahl durch das Wahlamt.
 
Im zweiten Teil des Podcasts erzählt Christoph dann von weiteren
   Problemen, die er bei der Software sieht und auch von Aktionen, die
   vom Studierendenrat der FSU geplant werden. Constanze Kurz liefert
   im ersten Teil einige Informationen zu den theoretischen Problemen
   von Online-Wahlen und erzählt von der GI- sowie ÖH-Wahl. Es war
   eigentlich geplant, die Aufzeichnung zu dritt mit Christoph zu
   machen. Aber wir hatten das Treffen verpeilt. Daher gibt es zwei
   getrennte Gespräche.
 
Im folgenden habe ich noch einige Informationen zum Hintergrund aufgeschrieben. Dies entstammt meiner Mitschrift aus der Veranstaltung sowie meiner Erinnerung:
Am 5. April 2012 fand an der FSU eine Präsentation von Micromata
   statt. Dort sprachen sowohl Vertreter des Wahlamtes wie auch
   Firmenvertreter. Herr Rüttger vom Wahlamt machte dort deutlich,
   die Einführung der Online-Wahlen zwei Ziele verfolgen.
 
 
- Erhöhung der Wahlbeteiligung
- Kostenersparnis durch Vereinfachung des Verfahrens
Im Sommersemester 2012 finden kleine Gremienwahlen, Wahlen zum
   Stura, zu den Fachschaftsräten und zum Rat der Graduiertenakademie
   statt. Daneben gibt es eine Urabstimmung über Online-Wahlen. Dadurch
   ergibt sich gegebenenfalls die Möglichkeit, Online-Wahlen bei
   studentischen Gremien einzusetzen. Die laufende Online-Wahl
   berücksichtigt nur Gremien der Uni.
 
Momentan gibt es an der FSU 18.000 Wahlberechtigte. Für die müssen Zettel
   gedruckt und versandt werden. Das verursacht für die FSU einen
   erheblichen Aufwand. Denn es ist viel Personal eingebunden und
   verschlingt viel Zeit. Des Weiteren wäre das Verfahren nicht
   umweltfreundlich. Denn aufgrund der geringen Wahlbeteiligung landen
   mehr als 80 % der Ausdrucke im Papierkorb. Angeblich entstehen
   dadurch Kosten von ca. 20.000 €. Im Verlauf der Präsentation gab es
   keine Aussage, was POLYAS kostet. Intuitiv wäre zu erwarten, dass
   das System weniger Kosten verursacht.
 
Ein weiteres Ziel ist die Erhöhung der Wahlbeteiligung. Denn
   schließlich nutzen viele Studenten Facebook, also werden sie ihre
   Stimme gern online abgeben. So lautete in etwa die Begründung.
 
Seit 2008 gibt es an der FSU Überlegungen zur Durchführung von
   Online-Wahlen. Zwei Jahre später fand eine Testwahl mit Micromata an
   der Graduiertenakademie statt. Am 29. Februar 2012 wurde eine neue
   Wahlordnung verabschiedet. Diese ermöglicht erstmalig Online-Wahlen.
 
Im Verlauf der Veranstaltung wurde mehrfach erwähnt, dass die DFG
   und die Gesellschaft für Informatik (GI) POLYAS
   einsetzen. Insbesondere letztere als Vereinigung der Informatiker
   wurde als Beleg aufgeführt, dass das System gut ist. Denn was das
   schon Informatiker einsetzen … Mir fällt da nur ein: »Der Schuster
   hat immer die schlechtesten Schuhe«. 
 
Die Studierenden haben mittlerweile alle ein Anschreiben
   bekommen. Dort steht drin, wo man sich anmelden kann, wie sich das
   Loginkennzeichen zusammensetzt (Matrikelnummer und Geburtsdatum),
   wie die Passphrase ist und wie der Fingerprint des SSL-Zertifikats
   aussieht. Somit wäre der Login und die Wahl theoretisch
   möglich. Laut Auskunft von Christoph gibt es einen zweiten Anlauf
   für die Online-Wahl. Dieser startet am 9. Juli 2012. Mittlerweile gibt es dazu eine Wahlbekanntmachung.
 
Bei der Präsentation gab es an der Stelle Screenshots vom
   Wahlportal. Lustigerweise war im Suchfeld des Browsers zu lesen,
   welche Frage derjenige zuletzt an Google gegeben hatte. Diese
   lautete: »Wie mache ich einen Screenshot?« 
 
Der technische Wahlvorgang war für mich nicht nachvollziehbar. Denn
   zum einen besteht dieses aus einer Vielzahl von Schritten, wo
   diverse Dinge passieren. Ich konnte da nicht gleichzeitig
   mitschreiben und -denken. Jedoch gibt es die Diplomarbeit »Anbindung
   eines externen Authentifizierungsdienstes an ein Online-Wahlsystem«
   von Christian Backes. Dort stehen einige Details dazu drin (siehe Shownotes unten).
 
Schließlich folgten Fragen, die entweder vorab abgegeben wurden oder
   sich im Anschluss stellten. Ein Teil bezog sich auf Verschlüsselung
   und Technik. Micromata generiert die Passphrases (TANs) und
   verschlüsselt diese mit GnuPG. Das Ergebnis wird an die FSU
   gegeben. Die Erzeugung der TANs könnte jedoch auch bei der FSU
   erfolgen.
 
Das System ist abgeschottet. Es läuft nur die Wahlsoftware und keine
   anderen Dienste. Gleichzeitig findet eine Prüfung mit Aide und Tripwire statt.
 
Die Software wurde in Java geschrieben. Micromata verwendet
   Bouncycastle mit 2048 Bit RSA und 256 Bit AES. Weiterhin wird
   angeblich intern SHA-256 als Hashalgorithmus benutzt. Im Rahmen der
   Vorführung später waren jedoch Zeilen mit MD5 zu lesen. Auf
   Nachfrage antwortete ein Vertreter der Firma, dass die Logmeldungen
   noch nicht angepasst wurden.
 
Gerade im Lichte des Vorfalls an der FSU ist die Frage nach der
   Verfügbarkeit interessant. Angeblich gab es bisher einen
   Hardwareausfall. Dies führte zu sechs Stunden
   Nichterreichbarkeit. Ansonsten wurde immer 100 % Verfügbarkeit
   erzielt. Wie wohl die offizielle Zahl für die FSU aussieht?
 
Die Vertreter des Stura wollten auch wissen, welche unabhängigen Sicherheitsunternehmen den Code geprüft haben sowie wie dieser Test durchgeführt wurde. Nach meiner Mitschrift beantwortete der Vertreter von Micromata die Frage nach den Prüfunternehmen insofern, als das der Code vom BSI und von der DFG geprüft wurde. Einen Penetrationstest soll es seitens der DFG und von »Redteam Aachen« gegeben haben. Auf meine Nachfrage in der Veranstaltung, zu welchem Ergebnis die Tester gekommen sind, wurde gesagt, dass keine Schwachstellen außer Denial of Service gefunden wurden. Ich nahm an, dass es sich um die Firma RedTeam Pentesting aus Aachen und verlinkte darauf. Die Firma nahm Kontakt zu mir auf und teilte mir mit, dass sie keinerlei Auskunft über Kunden und Nichtkunden erteilen und nur in Einzelfällen eine Freigabe der Testergebnisse erteilen. Der Geschäftsführer von Micromata, Herr Reinhard, ließ in der Zwischenzeit mitteilen, dass die obige Aussage so nicht von seinen Mitarbeitern getroffen wurde. Dies betrifft sowohl die Aussage zum BSI wie die zum RedTeam. Damit bleibt also weitgehend offen, welche externe Firma den Code wie geprüft hat.
 
Irgendwann war meine Batterie am Ende und ich habe nicht weiter
   mitgetippt. Am Ende ging es noch um das Kompilieren der
   Software. Das sprach Christoph auch im Podcast an. Daneben gab es
   weitere eher technische Fragen.
 
Relativ wenig wurden eher juristische Fragen
   angesprochen. Constanze erwähnte bereits die Grundsätze, die
   zuletzt das Bundesverfassungsgericht an Wahlen im Allgemeinen
   gestellt hat. In den Leitsätzen zum Urteil 2 BvC 3/07 vom 3.3.2009 schrieben die Richter:
 
 
Der Grundsatz der Öffentlichkeit der
   Wahl, […], gebietet, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl
   öffentlich überprüfbar sind, […].
 
 
Bei einer klassischen Wahl ist
   das vollständig gegeben. Da wird ein Papierzettel in eine Urne
   geworfen. Später werden alle Zettel herausgeholt und
   ausgezählt. Das Eregbnis wird anschließend übermittelt. Jeder
   Mensch mit grundlegenden mathematischen Fähigkeiten kann das
   Verfahren verstehen und sieht, wenn manipuliert wird. Wie ist das
   bei Online-Wahlen? Schon oben schrieb ich, dass der gesamte
   Wahlvorgang nicht so auf die Schnelle zu verstehen ist. Bereits
   hier benötigt man tiefergehende Kenntnisse in der Informatik, um
   den Ablauf zu verstehen. Das heißt, selbst wenn man davon überzeugt
   ist, dass die Software fehlerfrei funktioniert, kann nicht jeder
   die Funktionsweise einfach nachvollziehen. Wie das mit der
   Fehlerfreiheit ist, sieht man ja am Start des Systems an der FSU.
 
Insofern bleiben die grundsätzlichen Bedenken bestehen. Selbst die
   Vertreter von Micromata räumten in  der Präsentation ein, dass ihr
   System nicht den Anforderungen des BVerfG gerecht würde. Aber
   offensichtlich erheben sie an Uniwahlen andere Ansprüche.
 
Ich würde mich freuen, wenn sich Studierende der FSU über die
   Probleme derartiger Wahlsysteme klar werden und ihr Kreuz für die
   Urabstimmung entsprechend setzen. Gleichzeitig benötigt die Stura
   die Unterstützung, um Informationen zu verteilen bzw. Gegenaktionen
   zu planen. Solltet ihr also Probleme sehen, meldet euch beim
   Stura. Habt ihr weitere Informationen zu POLYAS an der FSU oder
   anderswo, steht euch das Kommentarfeld offen. Viel Spaß beim Hören
   des Podcasts.
 
Download und Anhören
 
 
 
 
Shownotes
 
 
Update: Klar gestellt, dass Aussage zur Prüfung des Code von Micromata-Vertretern kam.
Update 2: Micromata widerspricht einer Aussage. Blogbeitrag entsprechend angepasst.